42. FILMTHEATERKONGRESS BADEN-BADEN 2012
„Die Zukunft des Kinos"
Top Thema 1
Kinostandort Deutschland: vom Wert des Erlebnisses oder wie man Kultstatus erreicht!
ZUKUNFT KINO
Keynote
Dr. Daniela Kloock
Die Produktion und Rezeption von Filmen in Zeiten des Universalmediums
Software ist historisch neuartig. Vergleiche mit zurückliegenden medialen
Übergangsphasen – etwa der Zeit vom Stumm-, zum Ton- oder Farbfilm, oder
mit der Verbreitung von Filmen durch TV, Video, oder DVD – hinken somit.
Audiovisuelle Produkte haben sich entmaterialisiert, sind zu Datensätzen
geworden, die überall auf der Welt zu jeder Zeit abgespielt werden können.
Distributionsformen wie Netflix, Usenet, iTunes, Youtube oder auch MUBI
kündigen an, was über kurz oder lang auf uns zukommt: das globale „CINEMA
WITHOUT WALLS", eine Situation des „CHACUN SON CINEMA" - eine
schnelle, vielgestaltige, frei verfügbare und ubiquitäre Form der Filmrezeption.
Schon jetzt ist die Situation paradox: Einer Explosion an Filmen steht eine
schrumpfende Diversität gegenüber. Schaut man in die Kinoprogramme, egal
wo, findet man überall das gleiche Angebot. Das heißt: Die Krise des Kinos ist
keinesfalls eine Krise der ästhetischen Produktion, sondern eine des Kinos
selbst. An den Rändern der kulturellen Szene, etwa in einem der über 300
Berliner Filmclubs, oder bei einem der sich inflationär vermehrenden
Filmfestivals lässt sich das derzeitige Dilemma beobachten:
Kino hat den Zuschauer aus den Augen verloren, den jungen netzaffinen,
an „Trash" und „Abseitigem" Interessierten genauso wie den weltoffenen,
gebildeten Single oder die sogenannten Best Agers.
Und:
Kino hat sich selbst aus den Augen verloren. In seiner derzeitigen
Selbstdefinition, jetzt mal ganz provokant, als Popkornstation mit
Filmanhängsel, getrieben vom starren Blick auf reine
Gewinnmaximierung, verkennt es sein in ihm schlummerndes Potential.
Ich meine deshalb: veränderte Geschäftsmodelle werden (in einer weiter entfernt
liegenden Zukunft) erst dann erfolgreich sein, wenn genauer analysiert wird was
sich derzeit verändert, bei den Zuschauern, bei den Filmen, in unserer Kultur
insgesamt. Hierzu möchte ich mit meinen Ausführungen beitragen.
Es gilt zunächst die Spezifika und Besonderheiten dieses Ortes „Kino"(und im
folgenden spreche ich nur vom Kino als Ort/Abspielstätte) - gerade in einem
sich vollständig ändernden kulturellen Umfeld - zu entdecken bzw. wieder ins
Bewusstsein zu bringen.
REDISCOVER CINEMA
Unter Filmhistorikern herrscht seit einiger Zeit Konsens darüber, dass Kino eine
Erfindung ohne Ursprung ist. Es gibt jedoch einen medienärchäologischen
Anfang.
Es beginnt im Lichtschein des Feuers illuminierter Höhlenmalereien - darauf hat
nicht zuletzt Werner Herzog in seinem letzten Film „Cave of forgotten Dreams"
(2010) hingewiesen.
Kinos sind Höhlen, dunkle Versammlungsräume - damals wie heute. Damit
gehören sie in eine historische Konstante von Kult-Ritualen und verwiesen auf
ein Grundbedürfnis des Menschen.
Die Frage nach dem Attraktionsgrad von Kino in heutiger Zeit ist aber auch eine
Frage nach dem Alleinstellungsmerkmal von Kino im Konkurrenzkonzert der
Medien.
ALLEINSTELLUNGSMERKMALE
Die Dunkelheit ist die entscheidende Voraussetzung für die komplexen
psychischen Prozesse, die der Zuschauer durchläuft und die gänzlich
unvergleichbar sind mit jedweder anderen Medienrezeption. Denn mit den
Bildern - die im Erscheinen verschwinden - mit dem Ton, der uns umhüllt und
den Kinoraum füllt, gibt der Zuschauer sich weit mehr auf und hin als bsp. im
Theater. Mit dem Kino bleibt unserer Kultur, die ja zunehmend von „Coolness"
geprägt ist, ein Ort an dem wirklich Emotionen spürbar sind, Empathie erfahren
wird.
(Ein wichtiger psychologischer aber eben auch sozialer oder fast könnte man
schon sagen sozialpolitischer Aspekt über den noch viel zu sagen wäre,
gerade im Unterschied zum oberflächlichen Erregungszirkus der anderen
Medien.)
Denn im Kino treten wir in Kontakt und Konfrontation mit Geschichten und
Gesichtern, die neu und unbekannt sind, für die wir im alltäglichen Leben weder
die Zeit noch die Courage oder die Möglichkeiten hätten.
Hinzu kommt das Moment der feststehenden Zeit. Denn die Zeit im Kino ist die
Zeit der erzählten Geschichte - hier gibt es keinen „Cogito Interruptus", kein
Handyklingeln, keinen Zu- und Angriff, egal vom wem oder von was...
So ist Kino vielleicht einer der letzte Orte, die motorische Passivität,
Entschleunigung und Sammlung garantieren, ein Antidote zur „coffe to go
Kultur".
Eingebunden in ein feststehenden Ritual, in einer weitgehend entritualsierten
Zeit erlaubt Kino das totale Ab- und Eintauchen...
Bei der Frage was das Kino gesellschaftlich relevant macht kann man außerdem
antworten:
In einer Kultur der Vereinzelung, der Aufhebung der getrennten Bereiche von
Arbeit und Freizeit - die Bildschirme und Displays vereinen beides auf perfide
Art - bleibt die Kinoleinwand rein!
In deutlichem Kontrast zur permanenten Interaktion mit immer kleiner
werdenden Bild- und Ton Geräten, die wir herrisch dirigieren, indem wir tasten,
drücken und wischen, wird Kino ein Ort an dem wir in Ruhe gelassen werden,
ein Ort an dem wir nicht verfügbar sind.
Diese Begriffe bzw. Attribute, die ich hier zuspitzend verwende, werfen ein
Licht auf die besondere und einzigartige Position des Kinos.
Man braucht kein psychoanalytisches Gepäck um spontan einleuchtend zu
finden, dass Kino zuweilen mit dem Mutterschoß verglichen wird.
Denn Kino ist nicht nur ein Ort der sammelt und versammelt, sondern auch ein
Ort, der birgt und verbirgt, der nährt und schützt.
Kino ist
eine Arche Noah in der Springflut digitaler Bilder...
Nehmen Sie dies als ein Sinnbild in vielerlei Hinsicht und nicht zuletzt als
schöne Formel für den Symbolwert von Kino - den es wieder zu entdecken und
stark zu machen gilt.
Dabei ist klar, das das Biotop, das kulturelle Umfeld, sich in den letzten ein bis
zwei Dekaden radikal verändert hat. Wir leben in einer Hyperkultur. Diese
kennt keine Grenzen und Orte, sondern Vernetzung,Vermischung und Offenheit.
Bezogen auf das Kino heißt dies, dass die Rituale, die sich um das
Mediensystem Film angelagert haben, aufgebrochen sind und dass wir jetzt vor
der Aufgabe stehen, diese neu zu gestalten bzw. zusammenzusetzen.
In der Hyperkultur werden wir permanent behelligt – dies meine ich nicht
pejorativ, sondern in begrifflicher Gegenüberstellung zur Dunkelheit des
Kinoraums - und die Bild und Bilderfahrung ist für viele eine Online-Video-
Erfahrung geworden. Diese braucht keinen eigenen Raum mehr.
An die Stelle des Rituals (verstanden als soziale Praxis) mit seinen festgelegten
Regeln und Sicherheiten ist das Multitasking getreten, die Offenheit sich für
unterschiedliche Wege und Vorlieben zu entscheiden. Statt der Passivität im
Kino, die wohlgemerkt eine rein motorische und keine emotional kognitive ist,
zählt die Hyperaktivität.
REINVENT CINEMA
Wie ich eingangs formuliert habe ist das zweite große Dilemma, dass das Kino
den Zuschauer aus den Augen verloren hat. Wie kann beispielsweise ein junges
netzaffines Publikum fürs Kino wiedergewonnen werden?
Programm-Kino erscheint vielen jungen Menschen zurecht als
Seniorenveranstaltung und die Hollywood Blockbuster, die die Multiplexe
anbieten, decken nur bedingt das Interesse von Jugendlichen an globalen,
abseitigen, vor allem aber innovativen und multiethnischen Filmen.
(Ich zitiere hier u.a. auch indirekt Stephan Hutter, Verleihchef von Prokino)
Illegale download Seiten beweisen wie groß das grundsätzliche Interesse an
Filmen gerade bei dieser Gruppe ist! „Kino to" hatte angeblich mehr als 4
Millionen Nutzer TÄGLICH - diese Zahl sollte der Branche zu denken geben.
Statt sich vorrangig auf Kriminalisierungsdebatten zu konzentrieren, kann man
die Frage stellen, welches Klientel dem Kino hier permanent verloren geht und
warum? (Eine GfK Studie betont zudem, dass diese Nutzergruppe
überdurchschnittlich viel Geld an der Kinokasse ausgibt)
Eine basale Frage für die Zukunft ist: Warum findet man so wenig
Diversifikation und Flexibilität im System Kino?
Bzw. wie kann man das „alte System Kino" mit der neuen Hyperkultur in eine
konstruktive Verbindung bringen?
Ein Versuch Prinzipien der Hyperkultur - also Partizipation/Flexibilität/
Offenheit - zu integrieren stellt das Modell der sogenanten up-load cinemas vor,
die in Amsterdam gegründet wurden und mittlerweile auch außerhalb der
Niederlande erfolgreich praktiziert werden bsp. in Spanien. Leider bleibt mir
nicht die Zeit um hier ausführlicher über dieses innovative Kinokonzept zu
sprechen, eines sei aber gesagt:
Dies ist ein erster ernst zu nehmender und konstruktiver Ansatz eine Internet
Community in eine Kino-Community zu überführen.
Auch Clubbing - Kino mit musikevents zu verbinden - ist ein Versuch
partizipatorische Momente im Kino zu implantieren, um Synergieeffekte zu
generieren.
Auch an eine stärkere Einbindung spezieller Gruppen wie Kinder und
Jugendliche sollte gedacht werden.
In der Schweiz gibt es z.B. die sehr erfolgreiche Zauberlaterne, ein quasi gesamt
Schweizer-Filmclub für Kinder und Jugendliche mit einem eigens für sie
entworfenen webportal - in übrigens fünf Sprachen (cinebazar) !!!
In seiner Spritzigkeit und in seinem Engagement überhaupt nicht vergleichbar
mit den doch eher schwerfälligen (weil über die Schulen und tendentiell
überforderten Lehrer laufenden) und nur temporären Aktionen von Vision Kino
hierzulande. (Eine Stadt wie Berlin zählt über 540 000 Schülern und mehr als
140 000 Studierende, die immer weniger ins Kino gehen, die aber
grundsätzliches und reges Interesse an Bilderproduktionen haben).
Von der demographisch ernst zunehmenden Gruppe der sogenanten Best Agers
ganz zu schweigen, die sich meinen Beobachtungen nach zunehmend kaum vom
Kino angesprochen fühlen - nicht nur weil sie dort zu wenig Filme finden, die
sie mögen, sondern eben auch der Ort Kino für sie zu wenig attraktiv ist.
Das Kino muß sich also ausdifferenzieren und spezialisieren um diese Gruppen
anzusprechen.
Das Kino sollte aber auch zunehmend „ein Gesicht" finden - das heißt eine
Form der Kundenbindung, gerade was die älteren Generationen anbetrifft -
welches dem Kino eine persönliche Note gibt, ein „Patron", jemand der
ansprechbar ist, den man mit dem Kino verbindet.
(Ein leuchtendes Beispiel ist in diesem Zusammenhang ist Jean-Jacques
Spoliansky mit seinem cinema balzac in Paris – seine Besucher kommen, ganz
unabhängig vom Programm, weil der Mann für etwas steht...das Balzac ist eben
einfach Kult).
Partizipation heißt Integration von Publikumswünschen, aber auch z.B.
schlichtweg die Möglichkeit mit dem Kino als Ort in Kontakt zu treten. Dann
wird Kino unabhängig vom Film zu einem Erlebnis.
Letzter Punkt: diejenigen die das Kino machen. – Hier plädiere ich entschieden
für eine Professionalisierung. Es ist wirklich verwunderlich, dass es keine
spezifische Ausbildung gibt. Soviel Geld fließt in die Filmförderung, aber nicht
in die Professionalisierung derjenigen, die Kinos betreiben.
Und last not least, damit finde ich wieder den Bogen zum Anfang, geht es dann
in diesem Zusammenhang auch um die grundlegende Positionierung eines Kinos
zwischen Kommerz und Kultur.
Leider musste ich mich kurz fassen zu einem Thema mit dem ich mich jetzt
schon viele Jahre beschäftige in Lehre und Forschung, als Publizistin und als
wissenschaftliche Mitarbeiterin der Akademie der Künste Berlin.
Ich hoffe also wir haben in den nächsten Stunden und Tagen die Gelegenheit für
weitergehende Gespräche, um über Ideen und Konzepte nachzudenken, die das
Kino mit neuem Leben füllen, um es für die Zukunft attraktiver zu machen.
Fatal wäre es jedenfalls wenn das Kino in Zeiten der Hyperkultur weitermacht
wie bisher.
Und so bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns allen einen
auf- und anregenden Kongreß.