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Als die Bilder fliegen lerntenAls die Bilder fliegen lernten

Daniela Kloock

Wanderkinos – Nostalgie oder Mehrwert?

„Kinofreie“ Regionen gibt es viele auf der Welt, auch hierzulande. Allein 2009 mußten
170 Lichtspieltheater bei uns schließen. Doch nicht nur die Kinos in der Provinz und die
Programm- und Arthouse Kinos, die keiner kapitalstarken Kinokette angehören, stehen
unter Druck, sondern zunehmend auch Häuser in großen Städten. Hohe Mieten der häufig
attraktiv gelegenen Immobilien und steigende Ausgaben für neue digitale Techniken
machen den Kinos ebenso zu schaffen wie demografische Veränderungen. Vor allem
das ältere, zahlungskräftige Publikum bleibt den Lichtspieltheatern immer ferner. Hinzu
kommen die Konkurrenz anderer medialer Plattformen, Marketing Konzepte, die vielfach
ein homogenes/einseitiges Filmangebot generieren, und ein Verleih- und Vertriebssystem
mit eingefahrenen Strukturen.

Ein Blick zurück in die Anfänge des Mediums zeigt wie sehr die Präsentationsformen und die
Standardisierung der Ware Film mit dem Seßhaftwerden der Bilder in ortsfesten Institutionen
verbunden sind. Lange bevor es erste an Theatern- und Opernhäusern orientierte Kinosäle
gab existierten sogenannte Wanderkinos. Diese hatten sich aus Varietes herausgebildet und
gehörten zur Jahrmarktskultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Schausteller mit mobilen
Projektions- bzw. Vorführtechniken zogen umher und versorgten sowohl ländliche als auch
städtische Regionen mit ihrem Filmangebot. Als Vorführraum diente ein Zelt oder aber es
wurden vorhandene Einrichtungen wie Schulen oder größere Gasträume genutzt. Das Programm
der „ambulanten Kinematographie“ – so nennt die Filmwissenschaft diesen Abschnitt
Kinogeschichte – umfasste ein breitgestreutes Repertoire. Reisereportagen, Wissenschaftliches,
Derb-Komisches, Erotisches aber auch Dramen und Trickfime, jedoch alles als Kurzfilm. Nicht
selten hatten die Filmvorführer ein Kontingent von bis zu 100 Filmen zur Verfügung, die sich
alle im Besitz der Wanderkino-Inhaber befanden und je nach Stimmung und Publikum
unterschiedlich zusammengestellt wurden. Auch die Eintrittspreise waren flexibel, so daß
Menschen aller sozialer Schichten angesprochen wurden. Rund 500 Wanderkinounternehmen
erreichten in Deutschland 1904 pro Woche etwa eine Million Zuschauer. 
Wenige Jahre später ergab sich dann aber mit einer abfallenden Konjunktur eine veränderte
Situation. Leerstehende Geschäfte wurden in Kinosäle umgewandelt, das Wanderkino mutierte
zum Ladenkino. Stationär geworden konnte das Filmerlebnis stärker in den modernen Alltag
integriert werden. Man konnte erstmalig spontan und fast jederzeit ins Kino gehen. Doch erst
nach dem 1. Weltkrieg bildeten sich die Rezeptionsformen heraus, die wir heute kennen: der
Langfilm, der im wesentlichen eine Geschichte erzählt, ein Kinoraum mit weitgehendem
Sprechverbot und festen Sitzen, und ein Verleihsystem, welches bis heute für die Verteilung
der Kinofilme bestimmend ist. Vor allem letzteres führte zum endgültigen „aus“ der Wanderkinos.

Doch in vielen Ländern außerhalb Europas sah und sieht die Sache anders aus. So etwa in Indien,
wo Zeltkinos die einzige Unterhaltung für Millionen von Menschen darstellen – wenngleich auch
hier mittlerweile DVD und Internet die „road movie“- Kultur bedrohen –  oder in Argentinien.
Wie in Zeiten des frühen europäischen Wanderkinos ziehen hier sogenannte „Cine Móviles“
über das riesige Land und bringen ein anspruchsvolles Filmprogramm noch in die entlegendsten
Gegenden. Schulen, soziokulturelle Einrichtungen, Altenheime, aber auch Gefängnisse werden
bespielt. Die Tradition des argentinischen Wanderkinos bringt nun ein von der Bundeszentrale
für politische Bildung unterstütztes Projekt auch nach Deutschland. Argentinische Filme, die
sich mit der politischen und sozialen Realität des Landes auseinandersetzen, werden in
insgesamt 16 Bundesländern an den unterschiedlichsten Lokalitäten abgespielt, unter anderem
in Kirchen, Kneipen und Knästen. Vielleicht kann dieses Modell Schule machen, um Filme
jenseits des kommerz-mainstreams an ein Publikum zu bringen, welches weder die Möglichkeit
noch den Impuls hat (andere) Filme zu sehen. Ambulante Kinos könnten den Blick für
ungewöhnliche/fremde Filmformen und -Kulturen schärfen, und auch für Kinogeschichte.
Denn letztendlich scheint es doch so, als würde mit dem Seßhaftwerden nicht nur der Mensch,
sondern auch das Kino (als Vertriebssystem) an Beweglichkeit einbüßen.

Die Tour der „Cine Móviles“ startet am Sa 28.8.2010 im Ibero-Amerikanischen Institut in Berlin
(22 Uhr) im Rahmen der langen Nacht der Museen. Mit einer Filmeinführung, Eintritt kostenlos.
Gezeigt wird „Die verschwundene Umarmung“ (El Abrazo Partido, R.: Daniel Burman,
Argentinien 2003, Omu) Am 2.9. 2010 gibt es in Berlin ein weiteres Programm der „Cine Móviles“
in der Justizvollzugsanstalt Charlottenburg.
Weitere Infos unter: Cine Móviles – Argentinisches Wanderkino bzw. über die Bundeszentrale
für politische Bildung: bpb.de/veranstaltungen