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Daniela Kloock im Gespräch mit Christoph Hochhäusler

Daniela Kloock: Herr Hochhäusler, wie verändert sich das Filmemachen durch die digitalen Techniken?

Christoph Hochhäusler: Es gibt innerhalb dieses Themas viele Aspekte. Da ist zunächst der arbeitspraktische Aspekt. Das Digitale verändert hier sehr, sehr stark die Prozesse. Es verschieben sich vor allem Entscheidungs- und Zeithorizonte, es verschieben sich Autoritäten - der Kameramann zum Beispiel verliert an Autorität - , die Postproduktion wird demgegenüber wichtiger usw.
Ein anderer Aspekt ist, es kann auch zu einer furchtbaren Übermacht der jetzt schon sehr dominanten Majors kommen. Andererseits, vielleicht wird das Programm auch vielfältiger, weil es bezahlbarer ist. Aber das sind jetzt reine Spekulationen... Am Folgenreichsten für mich als Filmemacher ist jedoch vermutlich die Tatsache, dass sich die einzelnen Produktionsphasen in der digitalen Produktion stärker überlagern und ein relativ gesehen größerer Teil des kreativen Prozesses bis zuletzt wenn nicht revidiert so doch sehr umfassend manipuliert werden kann.

Kommen wir zur Frage, ob und wie sich die Kinobilder verändern werden?

Grundsätzlich ist eine digitale Aufnahme immer noch Fotografie. Alles was sich ändert, ist der Datenträger am Schluss, das Speichermedium. Das halte ich für keinen so großen Sprung, insofern als dass das Optisch-Mechanische immer noch vorgeschaltet ist. Im Unterschied zu einem Computerspiel oder einer Computeranimation ist das auf einem digitalen Band aufgezeichnete optische Bild dem Filmbild nicht so unähnlich. Es gibt natürlich graduelle Unterschiede, über die man lange diskutieren kann, aber das geht dann schnell ins Esoterische.

Was meinen Sie mit „esoterisch"?

Das Filmbild ist transparenter, weil es aus verschiedenen Schichten besteht, durch die Licht dringt. Das ist nicht die Natur des digitalen Bildes. Das digitale Bild dagegen entsteht auf einem Feld von Selbstleuchtern, alle Bildinformationen liegen auf einer Ebene. Jedes Pixel ist dem anderen gleichgestellt. Das ist schon ein Unterschied zum Filmbild, in dem es echte Verdichtungen gibt, also sozusagen besonders viel Silber an der einen Stelle, besonders wenig an der anderen.

Was verändert sich dadurch in Bezug auf die Farbräume oder die Raumtiefe?

Der Kontrastumfang ist im Augenblick noch geringer, das heißt, der Abstand vom hellsten zum dunkelsten Punkt ist viel kleiner. Und das, was ein Fernsehgerät oder Videobeamer wiedergeben kann, ist der Filmprojektion sowieso unterlegen. Allerdings haben die Amerikaner ja versprochen, dass die digitale Projektion, die jetzt im Kommen ist, technisch besser als der alte Standard sein wird. Wir werden sehen.

Was meinen dann Kameramänner, wie etwa Benedict Neuenfels, wenn er sagt, er kann mit einer digitalen Kamera einem Gesicht sinnlich nicht mehr so nahe kommen? Wenn gesagt wird, die digitalen Bilder seien „flacher", „kälter", oder wie Sie es gerade formulierten „weniger transparent"? Wie lässt sich dieser qualitative Sprung beschreiben?

Diesen Konflikt gab es früher ja auch, zum Beispiel beim Übergang vom Spinett zum Klavier usw. Das ist etwas ganz ähnliches. Der Sprung ist qualitativ, aber nicht grundsätzlich. Man kann behaupten, dass das Spinett ehrlicher klingt, es macht nicht so viel Wind, ich kann vielleicht intimer spielen. Aber die Ausdrucksskala, die Geschwindigkeit, der Umfang der Werke, die man mit einem Klavier erarbeiten kann, ist einfach größer. Und deshalb hat sich das Klavier durchgesetzt, und das Spinett ist heute ein exotisches Instrument.

Diese Aspekte werden folglich dem Digitalen zum Durchbruch verhelfen?

Ganz bestimmt. Auf der Verleihseite gibt es auch handfeste Kostengründe. Ob ich von einem Film 100 Filmkopien ziehe oder nur die Daten herumschicke macht finanziell einen großen Unterschied. Ich glaube aber, dass die wirklich anderen Bilder im Zusammenhang mit dem Computerspiel entstehen, das möglicherweise bald das neue Leitmedium sein wird. Sollte das so kommen - und das wäre noch die interessanteste Frage für mich - wird das Kino von bestimmten Aufgaben befreit werden. So ähnlich wie die Fotografie der Malerei viel abgenommen hat...

Was meinen Sie jetzt mit abnehmen?

Die Pflicht zur Darstellung.

Läge darin die Chance auf ein befreiteres Kino?

Auf jeden Fall, ja. (lacht)

Heißt das dann auch befreit von stories, von klassischen Inhalten? Mehr hin zum Bilderexperiment, oder anders gefragt gibt es eine neue Ästhetik, ein neues Experimentieren?

Es könnte genauso gut zur Nostalgie führen, zur Restauration, wer weiß...

Aber Bilder, die man so noch nie im Kino gesehen hat, wie im FELSEN von Dominik Graf, das ist schon toll!

Ja, finde ich auch. Eine Art pointilistische Ästhetik, wie sie auf 35 wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre. Haben Sie MIAMI VICE gesehen? Was Dion Beebe da mit den neuen HD Kameras macht, hat mich sehr begeistert.

Im Digitalen ist nichts irreversibel. Gab es denn bei ihrem Film „FALSCHER BEKENNER", den Sie digital gedreht haben, Bilder, die Sie verändert haben?

Theoretisch kann man jeden Pixel einzeln ansteuern. Aber wenn jemand nicht gut spielt in einer Szene, helfen auch die modernsten Möglichkeiten der Bildmanipulation nicht. Die meisten digitalen Arbeiten, die in Deutschland gemacht werden, sind einfache Retuschen. Das Mikro im Bild wird ausradiert, solche Dinge... „Nichts ist irreversibel" klingt also heroischer, als die Praxis aussieht.
Ich habe FALSCHER BEKENNER digital gedreht, weil wir die Kamera gesponsert bekommen haben, weil HD verschiedene Vorteile hatte für diese halbdunklen Situationen, die mich interessiert haben. So wie die Filmkamera ein bestimmtes Spektrum hat, haben eben auch digitale Kameras „Lieblingssituationen". Die Filmkamera fühlt sich im Hellen viel wohler als im Dunklen. Die Unterbelichtung ist gemeinhin etwas, was man als hässlich empfindet. Für das digitale Bild gilt das Gegenteil: nichts ist grausamer als ein „geklipptes", also überbelichtetes Bild.

Dann müsste es mehr Nachtfilme geben?

Mich überzeugen die Nachtbilder jedenfalls mehr. Auch in MIAMI VICE, wo die Bilder plötzlich eine ganz andere Qualität bekommen, wenn sie nachts anfangen zu rauschen. Ich will ja kein Bild, das verschweigt, dass es sein Bild ist, sondern ein Material, das sich zeigt. Im Rauschen der Nacht, also an seinen technischen Grenzen, offenbart sich das Wesen der digitalen Technik.

Das ist ja poetisch ausgedrückt! - Wie beurteilen Sie dieses impressionistische Moment, gibt es Ihrer Meinung nach experimentellere Möglichkeiten? Oder denken Sie ähnlich wie Peter Greenaway, der sagt die Bilder können jetzt endlich malerischer werden durch diese Technik?

Da redet Greenaway ziemlich viel Schmarrn. Das Malerische steht doch dem Medium entgegen, oder nicht? Ich finde es eigentlich einen Verlust, weil das Bild des Films eben kein Bild sein soll, sondern ein Blick.

Bitte erklären Sie das etwas.

Das Kino funktioniert ja mit Aufladung, es geht um die Anverwandlung eines technischen Blickes durch den Zuschauer. Das ist gewissermaßen ein animistischer Vorgang. Der Kader ist also kein Bild, sondern ein stellvertretender Blick; ein Ausschnitt, der belebt werden muss, aber eben nichts Ganzes ist, das sich „betrachten" lässt. In dem Moment, in dem ich die Möglichkeiten digitaler Bildmanipulation so ausschöpfe, wie Greenaway das in PILLOW BOOK zum Beispiel gemacht hat, verflache ich das Kino zum Bild, das sich selbst genügt, und der Kader verschließt seine „Poren". Unser Blick bleibt dann auf dieser Oberfläche gefangen, auf dem Bild. Und diese Oberfläche ist natürlich weniger emotional, weil sie die Belebung durch den Zuschauer nicht mehr nötig hat.

Dann verändert sich also doch etwas ganz Entscheidendes in Bezug auf die Bilder, das ist doch keine Esoterik!

Natürlich kann man mit den digitalen Möglichkeiten auch ganz anders umgehen. Und den „Tod durch Design" hat es zuvor auch schon gegeben. Aber da die Manipulation heute so einfach ist, ist die Gefahr einer dekorativen Anwendung vielleicht größer.

Sehen Sie denn grundsätzlich neue Möglichkeiten für ein Kino der Zukunft?

Ich glaube nicht, dass es da eine lineare Entwicklung gibt. Das frühe Kino zum Beispiel war zum Teil sehr abstrakt und überhaupt nicht narrativ. Ich glaube, dass das Kino immer verschiedene Optionen zur gleichen Zeit hat.

Anders gefragt, hat das Digitale das Potenzial etwas zu ändern oder zu verschieben?

Ich meine, dass der Siegeszug des Computerspiels einiges ändern wird. Schon jetzt wird mehr Geld für Computerspiele ausgegeben als für Filme, es wird immer mehr Zeit damit verbracht in einer bestimmten Altersklasse und in manchen Ländern wie Südkorea schon jetzt, erheblich mehr als mit Kino und Fernsehen. Wenn das im Mainstream einer Kultur angekommen ist, dieses Medium, dann wird der Film in die zweite Reihe rutschen. Aber das ist jetzt reine Spekulation. Dann wird sich möglicherweise auch für das Kino etwas ändern, so wie sich für die Oper etwas geändert hat, als das Kino kam. Es ist ja auch anstrengend für ein Medium „vorne" zu sein (lacht). Ich glaube wirklich, das ist wie eine Last, die der Film trägt... Für die Malerei war es in jedem Fall sehr befruchtend als die Fotografie aufkam...

Gleichzeitig sehnt man sich zurück in eine Zeit, in der das Kino so wichtig war.

Es ist total ambivalent.

Kommen wir noch auf das Kino als Ort zu sprechen. Der Raum sollte eine attraktive Alternative zum Wohnzimmer sein, oder?

Hierzulande hat man sich schon so daran gewöhnt, dass in den technisch schlechten Kinos die guten Filme laufen. Eine solche Koppelung ist  natürlich ganz ungesund für das Kino. In Paris zum Beispiel ist das deutlich anders.

Wird es Kino immer geben?

Wird's immer geben, einfach weil es ein soziales Ereignis ist.

Trotz Computerspielen?

Absolut. Es wird Computerspiele auch im Kino geben, aber das Soziale ist total entscheidend. Dass man gemeinsam etwas erlebt und etwas sieht und dann darüber kommuniziert, das gehört zum Menschen. Und wenn man sich Gedanken darüber macht, welche Filme Erfolg haben, dann hat das immer damit zu tun, ob man darüber reden kann. Eine der Hauptaufgaben des Kinos ist Gesprächsstoff zu sein, viele Filme sind gar nichts anderes als das.

Letzte Frage: Welche anderen Klischees, die man mit dem Digitalen assoziiert, stimmen denn Ihrer Meinung auch nicht?

Zum Beispiel, dass jedes Bild gleich wäre. Es gibt da geheimnisvolle Pixelausfälle, einzelne Pixel, die nicht die richtige Farbe haben...

Und dann?

Wir haben die Kamera ausgeschaltet und das Programm neu hochgefahren, und dann ist das wieder weg (lacht).

Diese Fehler werden dann sofort bemerkt oder wie ist das?

Nein, das ist uns zufällig aufgefallen.

Statt des Suchers ein großer Monitor zur Kontrolle. Verändert das nicht auch was?

Das ist eine schleichende Entwicklung seit den 80er Jahren. Ich glaube, der Erste, der mit einer Videoausspiegelung gearbeitet hat, war Stanley Kubrick bei 2001 - A SPACE ODYSSEE. Die Regisseure sind durch den Monitor an ihrer Seite viel bildfixierter geworden, auch fehlerbewußter.

Das heißt man korrigiert sofort?

Die Videoausspiegelung ist wie jedes Medium der Kontrolle eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits hat der Regisseur mehr Informationen über das Bild, kann seine Wirkung im Kontext anderer Bilder besser abschätzen und schneller auf Fehler reagieren. Andererseits geht diese Kontrolle zu Ungunsten des Intuitiven. Auch die direkte Interaktion mit dem Schauspieler verliert an Bedeutung. Auf jeden Fall werden so die Überraschungen weniger. Wenn der Film früher aus dem Kopierwerk kam, sah man den Film ganz neu. Film ist ja immer Verwandlung. Für Video dagegen gilt: „What you see is what you get".

Es ist folglich ein kontrollierterer Prozess?

Es gibt immer wieder Dinge, die trotzdem nicht klappen. Es ist ja in hundert Jahren nicht gelungen Film zu beherrschen. Letztendlich weiß man nicht so genau, warum das Medium eigentlich funktioniert. Ja, das muss man so sagen, und das ist ja auch das Spannende. Sonst gäbe es diese ganzen Flops nicht von tollen Regisseuren. Ich glaube, vieles von dem, was Film attraktiv macht, ist rätselhaft und zwar für die allermeisten. Und das wird so bleiben, digital hin oder her.

Herr Hochhäusler, ich bedanke mich für dieses Gespräch.