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Daniela Kloock im Gespräch mit Bendict Neuenfels

Herr Neuenfels, was will Kino?

Das Ursächlichste was Kino schaffen kann sind Emotionen, und die sind nicht steuerbar,
können lediglich „in den Wind gestellt werden".

Ist dieses Moment Emotionen zu entwickeln Ihrer Meinung nach an den Ablauf einer chronologischen Geschichte gebunden?

Das ist ein gute Frage. Zu große Erzählsprünge sind Gradwanderungen. Das Bedürfnis einer Geschichte folgen zu können ist sehr groß beim Zuschauer. Gleichzeitig fällt mir auf, dass die Sehkonventionen sich ändern. Das Fragmentarische im Blick ist heute ein ganz entscheidender Lustfaktor.

Sehen Sie denn eine Zukunft für den photochemischen Film?

Die photochemische Branche sucht ihr Überleben. Dass sie jetzt wieder 16mm hervorbringen, das ist ein Zeichen, und Ari hat eine neue 16mm Kamera gebaut. Schmalfilm erlebt eine Renaissance.

Es heißt aber doch, keiner dreht mehr auf Film? Edgar Reitz spricht von einem untergehenden Schiff...

Es wird sicher immer „nischiger" werden. Noch wird alles auf Film archiviert, und nicht auf Festplatte.
Unsere ganzen CDs, die werden in 10 -15 Jahren ihre Informationen zunehmend verlieren. Das ist alles offensichtlich eine riesen Verarschung der Industrie. Immer wieder neue Speicher anzubieten, die noch schlechter sind als die Betamaxkasetten, die wir vor 20 Jahren hatten, die hielten 25 Jahre. Das ist wirklich erstaunlich! Das Filmmaterial wird noch viele Jahre benutzt werden. Ob natürlich die Chemielabors sich nochmals darauf stürzen, auf die Entwicklung von so etwas wie Biodiesel für den Film, das weiß ich nicht. Das ist alles kompliziert in der Entsorgung und mit einer Elektronikverschrottung nicht zu vergleichen. - Natürlich, in Indien da lacht man sich tot...

Es wird immer wieder behauptet, dass die digitalen Bilder mehr wie Gemälde seien von ihrer Ästhetik her.
Was ist mit dieser Behauptung eigentlich gemeint?
Peter Greenaway zum Beispiel sagt, dass Kino überhaupt erst jetzt richtig beginnen würde,
dass erst jetzt überhaupt Kino-Bilder gemacht werden können, die nicht textorientiert sind.

Im Videobild kann ich natürlich alles zusammensetzen. Ich kann malen, ich bekomme einen Stift, ich setze Sachen zusammen. Meiner Kreativität ist keine Grenze gesetzt. Video ist prädestiniert dafür in einem Rahmen viele verschiedene Bilder, Layer, zuzulassen. Ich kann jedes Bild hundertfach zusammenpuzzeln, ich kann die Farben und die Formen verändern. Reizvoll und doch: ich komme dann lieber wieder mit meinem „spirit" und frage mich, inwieweit eine Portion Naturalismus nicht wichtig für den Menschen ist. Damit er sich wieder spürt! Die virtuelle Welt ist nämlich kein Aufenthaltsort für den Menschen. Geschichten, die nur noch in virtuellen Räumen stattfinden, da wird das Bild erstickt werden, denn zu dem gehört eine Nähe... Sicher, es gibt einige gelungene Beispiele von Comicverfilmungen, wobei das Rohmaterial häufig eine Rohzeichnung ist und nicht eine computeranimierte Sache.

Sie haben einmal gesagt Bild und Ton kommen nicht zusammen im Digitalen, wie ist das zu verstehen?

Ich kann mit einer digitalen Kamera unglaublich flexibel umgehen, sehr schnell Schauspielern folgen zum Beispiel, doch wo bleibt der Live-Ton dazu? Das ist ein Riesenproblem. Da gibt es keine innovativen Ambitionen. Die Live-Ton-Herstellung wird immer unwichtiger. Im Videobereich ist leider oft nicht das Bild, sondern der Ton das Manko. Der oft ungenaue Ton macht das Bild so mager.

Wäre das nicht ein ganz entscheidender Punkt in diesem ganzen „Spirit" Kontext? Nur mit dem Ton zusammen wird das Bild zu etwas, was mich berührt.
Bildraum und Klangraum -  schon die Sprache sagt, dass das Dinge sind, die zusammengehören.

Absolut! Bei der Nouvelle Vague zum Beispiel waren die Klangräume auch die Herstellungsräume.

Was heißt jetzt Herstellungsräume? Vor Ort?

Ja, genau. Es musste einen Wellenaustausch geben, damit man dass so kriegen kann. Das ist das Geheimnisvolle bei Teamarbeit im kreativen Prozess. Es gibt kaum einen kreativen Prozess in der Kunst glaube ich, wo so viele Leute massiv und auch so relativ ordentlich strukturiert überhaupt etwas bewältigen. Diese Räume setzen Kräfte frei, da entstehen auch Klangräume in den Gruppen. Andi Dresen wird Ihnen da stundenlang vorschwärmen können, was es bedeutet zu acht durch eine Stadt zu ziehen und einen Film zu drehen. Und Peter Rommel, der Produzent jubelt und möchte nur noch solche Filme drehen, da ist ja klar. Das ist kein großer produktioneller Aufwand. Zwei Jungs, zwei Autos, rin und rüber, und wenn man hängt, dann trinkt man halt nen Kaffee und oder ein Bier und redet über die nächste Szene... kostet ja nüscht! So kann man/frau auch Filme machen. Geschmack ist hierbei nebensächlich. Photographisch war das eine Schauspielertraumerfüllung. Und da gehen die natürlich raus wie aus einer Sektenveranstaltung. Das ist das Wellenbad, das möglich ist.

Was wünschen sie sich für die Zukunft des Kinos?

Dass der Erlebnisraum Kino existent bleibt, weil der Raum hat eine Magie. Solange man Interesse an Filmen hat wird es Kino geben. Wenn Produzenten den 65mm Film wieder aufleben lassen würden, das wären noch einmal andere Erlebniswelten. Stellen Sie sich vor, was der Ausdruck eines Gesichts in dieser Auflösung bewirkt. In den nächsten Jahren wird es kein elektronischer Speicher, kein Videobild auch kein anderes elektronisches Verfahren schaffen, die Auflösung eines 65mm Bildes zu erreichen. Adäquate Abspielstätten existieren leider nur noch vereinzelt
Hingegen könnten die digitalen Distributionswege für die Arthousefirmen eine Möglichkeit bieten ihre Filme auf anderen Wegen zu zeigen. Denn für den Arthouse-Film ist der Vertrieb über die Kinos schwierig. So bilden sich vielleicht Portale von Filmemachern, die sich Kinos oder andere Räume mieten. Es entstehen ganz andere Programmstrukturen, vielleicht so etwas wie ein Partymoment, ein Themenabend, das ist auch vorstellbar... Vor allem hoffe ich, dass wir experimenteller werden können und dürfen. Filmregeln gibt es doch eigentlich nicht mehr. Die sind doch aufgehoben. Das Thema „Achsensprung" hat Lars von Trier porös gemacht. Wir können doch heute schneiden, was wir wollen, nicht erzählerisch, aber bildlich. Ich habe als Assistent ja noch erlebt, dass ein Film vom ZDF nicht abgenommen wurde, weil ein Achsensprung drin war.

Wann war das?

Das müßte 1985/86 gewesen sein. Vor fünfundzwanzig Jahren. Heute ist das vollkommen wurscht. Und deshalb denke ich, da kann man noch mehr machen, weg von diesen Konventionen, anders erzählen - mehr wagen!

Herr Neuenfels, ich bedanke mich für dieses Gespräch.