Daniela Kloock im Gespräch Edgar Reitz
Herr Reitz, Wahrnehmungskonventionen verändern sich, kulturell und auch über Generationen. Jüngere Zuschauer wollen etwas anderes im Kino sehen als Ältere, was für Filme braucht das Kino?
Wir wissen ja, was da im Moment geboten wird. Nehmen wir die Computergames: Das ist eine Riesen-Industrie, die perfekt funktioniert. Aber bei diesem Thema halte ich mich nicht für kompetent. Wenn Sie mit mir sprechen, müssen Sie bedenken, dass ich die Dinge vom Künstlerischen her sehe. Und das Besondere an jeglicher Kunst ist, dass sie sich den Standards widersetzt.
Was heißt das genau?
Kunst will nicht dieses permanente Entwerten und diese permanente Vergänglichkeit aller Gefühle! Sie will dem entgegenwirken - will etwas Beständiges finden. Ich glaube, das ist auch etwas, das wir bei den Jungen heute finden. Diese Suche nach etwas Beständigem in einer sehr unbeständigen Welt.
Und hat dann genau über dieses Moment Kino als Ort auch eine Chance?
Eine neue Chance, durchaus.
Inwieweit arbeiten Sie mit digitalen Techniken?
Ich arbeite neuerdings teilweise auch mit digitalen Systemen. Im Grunde ist die digitale Kamera ja auch eine Erweiterung der Filmkamera, und der digitale Schnitt ist eine Weiterentwicklung des Filmschnitts. Aber ich verwende dieses verbesserte Werkzeug dazu, dem Leben auf der Spur zu sein, so wie es immer mein künstlerisches Bekenntnis war.
Sie würden also bestimmte Zuordungen nicht dem Werkzeug gegenüber vornehmen, sondern immer auf diejenigen schauen, die es benutzen?
Es gibt Zeiten, da wird alles zerhackt, in anderen Zeiten wird bis zum Abwinken „gemorpht". Das ist ein Ausdruck von Technik-Schwärmerei, da habe ich überhaupt keinen Respekt davor. Es gibt jedes Jahr, ich glaube in Baden-Baden, einen Wettbewerb für Video-Kunst. Also was unter diesem Titel läuft, das ist selten etwas anderes als das Drehen an allen Knöpfchen. Vieles sieht toll aus und macht viel her, aber drin ist nichts, in der digitalen Mogelpackung!
Warum passiert da aber nicht mehr, nicht mehr Positives, Experimentelles? Sie sagen an einer Stelle Ihrer Bücher die Dramaturgien wären so konventionell, die meisten Filmszenen arbeiten immer auf Höhepunkte hin... oder nehmen wir Peter Greenaway, der das ganze System Kino von Grund auf kritisiert.
Aber diese Kritik von Greenaway richtet sich doch nicht gegen das Filmmaterial oder die Kameras oder die Techniken, die man verwendet, sondern die richtet sich gegen die Branche und gegen die Industrie!
Inwiefern?
Film ist ja eine Ware mit einem eigenen Markt und Marktgesetzen, die von Konzernen diktiert werden, und da gehört das Starwesen dazu, da gehören bestimmte Studiotechniken usw. dazu. Warum widersetzen sich Künstler dem? Weil der Preis, der dafür zu zahlen ist zu hoch ist! Es ist ein großes Verlangen entstanden, sich davon abzukoppeln. Weg von diesen internationalen Konzernen, die sich in alles einmischen! Und da können wir, glaube ich, im digitalen Zeitalter Auswege finden.
Also mehr Freiheiten durch die digitalen Techniken?
Ich träume davon mit Hilfe der digitalen Technik die Filmherstellungskosten auf ein Zehntel der Kosten senken zu können und mich damit zu verabschieden von allen diesen Haien, die einem immer nur rein reden und die uns das Leben schwer gemacht haben in all den Jahren. Ich sehe, dass neue künstlerische Chancen entstehen! Der Gewinn des digitalen Zeitalters liegt für mich auf dem Produktionssektor.
Und der Gewinn auf dem Distributionssektor?
Auch das ist sehr wichtig! Denn wir wollen ja unsere Filme nicht für uns selbst machen, sondern wir wollen sie öffentlich zeigen. Und nun ist das Kino oder besser der Abspielort jederzeit spontan improvisierbar. Warum sollen wir uns länger durch die verstopften Kinos quälen? Die Filmtheaterbranche mit all ihren Abhängigkeiten, die ja überhaupt nur noch vom Popcornverkauf leben, sollte man vor neue Tatsachen stellen. Und das Fernsehen erst recht! Das ja überhaupt keine Freiheiten mehr erlaubt, weil die Einschaltquote die neue Religion ist...
Wie sehen dann diese neuen Abspielmöglichkeiten aus?
Ich habe die Möglichkeit jede Form der spontanen Projektion zu nutzen!
Wie wird da distribuiert? Wie darf man sich das vorstellen?
Die DVD ist ja schon sehr mächtig geworden, aber bisher werden auf diesem herrlichen und technisch weiter entwickelbaren Medium nur Filme vertrieben, die woanders schon uraufgeführt worden sind, also die in Kinos gelaufen sind oder im Fernsehen. Aber Premieren auf DVD wären etwas Neues.
Wie macht man Premieren auf DVD?
Man organisiert öffentliche Aufführungen der Filme in Sälen, die man auch mit Presse usw. bewirbt
Wer ist jetzt „man"?
Die Produzenten oder in Zusammenarbeit mit Firmen, die DVD-Editionen machen.
Das heißt Kinos werden dann mietbare Spielstätten wo jeder sagen kann, morgen abend will ich da rein?
Möglich. Aber das werden die wenigsten Kinos mitspielen. Nein, ich bringe meinen Beamer selbst mit, stelle ihn auf den Marktplatz oder ich stelle ihn in eine Turnhalle oder in den Nebenraum einer Gaststätte oder wo auch immer - und los geht's. Das ist wie in der Frühzeit des Kinos! Eine halbe Stunde Arbeit - und schon ist Kino!
Das erinnert mich an die 1960er Jahre!
Ich habe das schon in den 60er Jahren propagiert und einen Artikel geschrieben der hieß „der Film verlässt das Kino". Damit wollte ich natürlich nicht sagen, dass diese schönen dunklen kuscheligen Räume mit einer guten Leinwand jetzt obsolet werden, sondern ich wollte damit sagen, dass man sich aus der Umklammerung der Branche loslöst.
Die großen Kinos sind ja völlig unfrei, sie werden von den Konzernen total geknechtet. Sie entscheiden gar nicht mehr, was sie spielen und was nicht. Sie müssen den einen Blockbuster buchen, um den anderen spielen zu können. Und die Multiplex-Häuser sind am allerschlimmsten dran, die werden ja nur noch bespielt von den Konzernen. Mir hat mal ein Multiplex Besitzer gesagt „wir leben nur noch vom Popcorn".
Aber das wird doch durch die Digitalisierung noch schlimmer, weil dann klar ist, wenn ein Film nicht so gut läuft ist der ganz schnell raus und alles wird noch kontrollierbarer.
Gut, sprechen wir über das digitale Kino. Da ist etwas technisch im Gange, was im professionellen Bereich eine angebliche Wende bringen soll. Es geht hier wohlgemerkt nicht um mein digitales Spontankino, sondern um die kommerziellen Lichtspielhäuser. Natürlich gieren die Konzerne schon lange, und fragen sich, wie machen wir das, wie kommen wir von dem teuren 35-mm-Kopienversand weg? Und wie kommen wir zu einer viel perfekteren Kontrolle? Wie können wir das gesamte Programmierungs- und Abrechnungswesen der Kinos voll automatisieren und zentralisieren? Damit das Geld direkt auf das amerikanische Bankkonto fließt etc. Also das ist das Anliegen hier, nicht die Filmkunst!
Das ist eine ziemlich heftige Kritik an den Kinobetreibern! Das Filme-Abspielen wird also Ihrer Meinung nach schwieriger?
Früher oder später werden die Premierenhäuser digitalisiert, d.h. mit gewaltigen Digital-Projektoren und spezieller Software ausgestattet, die im Leasing-Verfahren an die Kinos vermarktet werden. Die Systeme binden die Kinobetreiber mit nicht-kompatiblen Kodizes fest an die Vertriebsstrategien der Konzerne. Und der klassische 35-mm-Film wird in Zukunft der kleine freie Randmarkt der Nachspielkinos bleiben. Schade. Aber wir können uns ja als Filmemacher nicht in dieses untergehende Schiff setzen. Wir müssen unsere Zukunft sichern, und die sichern wir uns indem wir an den riesigen konzernbestimmten Schlachtschiffen vorbei segeln - mit Hilfe der so genannten Consumertechniken, die jedem verfügbar sind. Klingt nach 1968, aber es ist so immer noch ein gutes Konzept und ein richtiges. Und ich habe jetzt die HEIMAT-FRAGMENTE ohne Fernsehbeteiligung und nur mit einer kleinen Förderung von Rheinland-Pfalz gemacht.
Und die vertreiben Sie dann selbst?
Das macht „KINOWELT" in Leipzig. Das ist ja ein bekanntes Unternehmen und die bringen den Film als DVD in ihrer ARTHAUS-Serie heraus. Die Edition wird dann überall im Fachhandel angeboten wie ein Buch. Damit die Leute aber wissen, was das für ein Film ist, wenn sie die Scheibe in die Hand nehmen, veranstalten wir Premieren. Ich mache das besonders gerne in Theatern, im Stadttheater zum Beispiel, wo der Film im kulturellen Bewusstsein einer Stadt eine gewisse Rangstufe erreichen kann.
Meinen Sie es wird dann viele Filmkünstler geben, die Ihrem Beispiel folgen werden?
Weiß ich nicht. Nur, wer diese Chance nicht erfasst, macht einen Fehler. Wenn man ewig und immer mit dem Kopf gegen die Wand rennt und meint in dieser etablierten traditionellen Branche seinen Durchbruch machen zu wollen, erleidet man Schiffbruch. Über 100 Filme werden jedes Jahr in Deutschland produziert, die kein Mensch zu sehen bekommt. Oft gelingt es einem Anfänger, auf sich aufmerksam zu machen, und mit dem zweiten Film kracht er ein. Wer diesen Leidensweg gehen will, der soll das tun. Aber es nützt einem sehr, wenn man weiß, man ist nicht zum Schweigen verurteilt, wenn man im Dickicht der Branche hängen bleibt. Man hat einen zweiten Weg, eine Alternative ist da.
Aber Sie haben den großen Namen und ihre Erfahrung.
Deswegen hoffe ich auch eine Bresche schlagen zu können. Ich denke da nicht nur am mich. Denn wenn man so viele Jahre als Hochschullehrer tätig war, dann ist einem schon ein Anliegen, die Chancen der Jungen zu verbessern. Wenn ich mit Consumer-Geräten große Filme mache, dann zeigt das den Jungen einen Weg...
für eine neue Kinokultur...
Wenn man will, und wenn die Leute damit zu spielen beginnen! Natürlich hat man jedes Jahr Welterfolge vor Augen. Irgendwelche Filmleute machen plötzlich ganz groß Kohle. Und wer die Filmschulen absolviert hat oder wer da neu am Start steht, der schaut auf dieses Faszinosum und möchte dazu gehören. Aber man muss den Leuten auch mal klar machen, dass klassisches Kino ein sinkendes Schiff werden kann! Und man sollte jungen Leuten nicht empfehlen, ihre Zukunft auf einem sinkenden Schiff zu planen, das keine Rettungsboote mitführt. Es gibt kleine Fahrzeuge, die durchaus seetüchtig sind.
Nur, mit ner Jolle kommt man nicht nach Amerika,
...aber ans andere Ufer des Starnberger Sees zu kommen, kann auch schön sein!
Welch ein schönes Schlusswort, Herr Reitz herzlichen Dank für dieses Gespräch!